Redewendungen wie «Das ist nichts für schwache Nerven» oder «Sie hat Nerven wie Drahtseile» kommen nicht von ungefähr. Unser Nervensystem hat einen entscheidenden Einfluss auf Wohlbefinden und Gemüt.
Ein Kratzen am Kopf, eine Umarmung, ein freudiges Lächeln, aber auch positive wie negative Gefühle: Sie alle sind das Resultat von Impulsen. Ausgelöst werden diese durch äussere Reize, die über die sensorischen Organe und das Rückenmark an unser Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet werden. Millionen von Sinneseindrücken nehmen wir täglich wahr, die meisten davon unbewusst. Damit dieser Prozess überhaupt möglich ist, verfügt der menschliche Körper über eine hochkomplexe Reizverarbeitungsmaschine: das Nervensystem. Ganz grob wird unterschieden zwischen zentralem (ZNS) und peripherem Nervensystem (PNS).
Wie unser Körper kommuniziert
Gehirn und Rückenmark bilden das ZNS, Nerven und sensorische Organe wie Augen, Ohren, Nase, Haut und Mund das PNS. Gegenseitig übertragen und verarbeiten ZNS und PNS sensorische Informationen und koordinieren Körperfunktionen mittels elektrischer Impulse in den Nervenzellen, den sogenannten Neuronen. Diese sind wiederum miteinander durch ein komplexes Geflecht aus Synapsen verbunden, an denen die Signale in Form von chemischen Botenstoffen weitergegeben werden. Gehirn und Rückenmark fungieren als Kontroll- und Schaltzentrale, wo die Impulse ausgewertet und als Informationen oder Befehle wieder an das PNS übertragen und blitzartig in alle Richtungen als elektrische und chemische Signale weitergeleitet werden.
Ein Beispiel: Wenn wir an eine Strassenampel kommen, nimmt unser Auge die Situation wahr und gibt einen Impuls an das Gehirn weiter. Dort wird die Information verarbeitet und die Entscheidung getroffen: bei Rot stehen bleiben – stopp! Diesen Befehl leitet das Gehirn an die Beinmuskulatur und andere beteiligte Muskelgruppen weiter.
Das Unbewusste und der Stress
Das Beispiel veranschaulicht, dass wir Handlungen und Bewegungen bewusst ausführen. Doch unser Nervensystem übernimmt auch Aufgaben, die wir nicht bewusst wahrnehmen oder kontrollieren können, zum Beispiel in Stresssituationen. Dann setzt der Organismus Hormone wie Adrenalin und Kortisol autonom frei. Sie aktivieren den Körper und bereiten ihn auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vor. Zudem weiten sich die Bronchien, wodurch mehr Sauerstoff in die Lungen gelangt. Die Atmung wird schnell und flach, das Herz schlägt stärker. Insgesamt stellt sich der Körper auf einen höheren Energieverbrauch ein und gibt mehr Zucker ins Blut ab. Die Verdauung dagegen wird verzögert, die Schmerzempfindlichkeit nimmt ab. So wird der gesamte Körper handlungsbereit gemacht, was sich etwa vor Prüfungen oder während sportlicher Wettkämpfe positiv auswirken kann, weil all unsere Kräfte mobilisiert werden und wir zur Höchstform auflaufen.
Medizinisch betrachtet ist Stress die Alarmbereitschaft des Organismus, sich auf eine erhöhte Leistungsbereitschaft einzustellen, und somit überlebenswichtig. Kommt es jedoch zu Dauerstress, kann sich der Körper nicht mehr ausreichend erholen, was sich negativ auf die gesamte Gesundheit auswirken kann: körperlich und seelisch.
Die Auswirkungen auf Psyche und Körper
Das Stressempfinden ist sehr subjektiv und äussert sich bei jedem Menschen anders. Stress tritt dann auf, wenn ein Ungleichgewicht zwischen äusseren Anforderungen und persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten besteht. Mögliche Auslöser können Zeitdruck, Reizüberflutung, hohe Leistungsanforderungen oder kritische Lebensereignisse sein. Die psychischen und körperlichen Auswirkungen von Stress beeinflussen und verstärken sich gegenseitig und es entsteht ein Kreislauf, der das eigene Wohlbefinden immer mehr belastet. Fehlt eine gesunde Balance zwischen aktiver Leistungsbereitschaft und Phasen der Erholung, wird der Körper in einen dauerhaften Aktivierungszustand versetzt. Man spricht dann von chronischem Stress.
Neben den körperlichen Auswirkungen (z.B. Magen-Darm-Beschwerden, Muskelverspannungen, einem geschwächten Immunsystem oder Hauterkrankungen) leiden Betroffene bei chronischem Stress oft unter innerer Anspannung oder Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Nervosität, Reizbarkeit und Unzufriedenheit. Im schlimmsten Fall können Depression, Angststörungen, Schwindel oder Burn-out die Folge sein. Spaziergänge an der frischen Luft können helfen, negative Gedanken zu vertreiben, denn Sonnenlicht und das damit einhergehende Vitamin D wirken positiv auf die Psyche. Es löst Glücksgefühle aus und kann helfen, Stress abzubauen. Um chronischem Stress vorzubeugen, sollte man seinen Nerven und seinem Körper regelmässige Entspannungsphasen und Pausen gönnen.
Zahlen & Fakten zum Nervensystem
- Das Nervensystem besteht aus bis zu 100 Milliarden Nervenzellen, die mit über einer Trillion Synapsen miteinander verbunden sind.
- Die Länge aller Nervenbahnen zusammen beträgt im Körper eines Erwachsenen etwa 5,8 Millionen Kilometer. Das entspricht 145 Erdumrundungen.
- Das Nervensystem wiegt «nur» 2 Kilogramm, was etwa 3 Prozent des gesamten Körpergewichts entspricht.
- Dicke Nerven leiten schneller: in der Regel rund 100 Meter pro Sekunde.
Auf natürlichem Weg zurück zur Balance
Phytotherapie ist die Wissenschaft von der Behandlung und Vorbeugung von Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen mit Pflanzen. In herausfordernden Lebensphasen ist sie eine beliebte Methode, um Körper und Geist gleichermassen zu stärken. «Nicht selten ist es gerade die Alltagshektik, die uns aus dem Gleichgewicht bringt», betont Naturheilexperte Kurt Altermatt. Ein einfacher Kräutertee kann da schon einiges bewirken, denn: Wir nehmen uns Zeit für die Zubereitung, sein Duft regt die Sinne an und das Getränk wärmt uns von innen und entspannt die Muskeln. Drei wichtige Faktoren, die unser Wohlbefinden positiv beeinflussen können.
Pflanzen stärken und beruhigen die Nerven
«Wir können unsere Nerven auf zwei Arten beeinflussen: durch Stärkung oder Entspannung. Die Phytotherapie unterteilt dazu Heilpflanzen, die entweder mehr auf den Körper oder den Geist einwirken», sagt Kurt Altermatt. Für eine Teemischung rät er, immer beide Pole zu berücksichtigen. «Es ist wichtig, Körper und Geist gleichermassen zu stärken.» Um speziell den Körper zu unterstützen, empfiehlt der Naturheilexperte die Taigawurzel als Basis für eine Teemischung. Alternativ dazu kann sie auch als Tinktur oder in spagyrischen Mischungen eingenommen werden. Ebenso wie Meisterwurz, die als innerer Motor dient und den Fokus und den Willen stärkt, ein Ziel zu verfolgen. Bei Stress und Angst kann Lavendel helfen. Beruhigend wirken aber auch Orangenblüten, Melisse oder Hopfen. Bei Dauerstress und Symptomen von Burn-out wird gern das Johanniskraut beigemischt, da die Pflanze eine leicht antriebsfördernde Wirkung hat. Wenn zusätzlich noch Schlafstörungen die Nerven belasten, kann Baldrian für einen besseren Schlaf sorgen. Lassen Sie sich dazu von Fachpersonen beraten, welche Teemischung sich für Ihre Beschwerden am besten eignet.
Esther Walter
Psychologin, Projektleiterin Suizidprävention und stellvertretende Leiterin der Sektion Nationale Gesundheitspolitik beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sie unterstützt die Taskforce BAG Covid-19 zu Fragen der gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie
Wie steht es zurzeit um die mentale Gesundheit in der Schweiz?
Obwohl es kein einheitliches Muster zur Corona-Pandemie gibt, ist aktuell eine Tendenz erkennbar: Zwar geht es der Mehrheit der Bevölkerung noch relativ gut, doch vor allem seit der zweiten Welle leiden insbesondere die Jungen vermehrt. Extremsituationen wie ein Lockdown verschärfen grundsätzlich bestehende Probleme. Bei Erwachsenen wirken sich die wirtschaftlichen, existenziellen Ängste wie Jobverlust extrem auf die Psyche aus.
Wie kann man seine mentale Gesundheit trotz der Umstände stärken?
Mit Kreativität kann man gegen Stress vieles tun, z.B. Gartenarbeit, Basteln, Handwerken oder Zeichnen. Eine der entscheidenden Bewältigungsstrategien für die psychische Gesundheit ist es, flexibel zu bleiben und sich einer Situation anzupassen.
Woher kommt dieser Leidensdruck bei jungen Menschen?
Das hat vor allem entwicklungspsychologische Gründe. Das Jugendalter ist eine herausfordernde und entscheidende Lebensphase: Die jungen Erwachsenen werden selbstständig, lösen sich von zu Hause, planen ihre Zukunft und etablieren soziale Netzwerke. In der aktuellen Situation werden diese Schritte extrem erschwert.
Auf dureschnufe.ch sowie bag-coronavirus.ch gibt es viele Tipps, wie Sie auf Ihre mentale Ausgeglichenheit achten können und bei Bedarf Hilfe finden.