Kneippen

Ratgeber / Gesundheit

Kneippen - Mit allen Wassern gewaschen

23.05.2024 / von 

Ob Wechselgüsse, Wassertreten oder Bäder – Wasseranwendungen nach Sebastian Kneipp stimulieren Körper, Geist und Seele, regen die Selbstheilungskräfte an und wirken präventiv und wohltuend.

Geschichtlicher Hintergrund

Sebastian Kneipp (1821–1897) wuchs in einfachen Verhältnissen in Oberschwaben (Deutschland) auf. Dank einem entfernten Verwandten erhielt der wissensdurstige Junge Zugang zu höherer Bildung und studierte Philosophie und Theologie. Doch kurz nach Beginn seines Studiums erkrankte er an Tuberkulose, die damals als unheilbar galt. Auf der Suche nach einer Therapie fiel ihm ein Buch von Johann Siegemund Hahn zur heilenden Wirkung kalter Bäder in die Hände. Er machte einen Selbstversuch und badete mitten im Winter mehrmals pro Woche in der eiskalten Donau. Langsam erholte er sich. Seine Erfahrungen behielt er nicht für sich, sondern begann, andere Kranke erfolgreich mit verschiedenen Wasseranwendungen zu therapieren.

Seine Behandlungen kamen auch damaligen Persönlichkeiten wie zum Beispiel Erzherzog Joseph oder Kaiserin Sisi von Österreich zu Ohren. Mit der Zeit entwickelte sich das Dominikanerinnenkloster Wörishofen, wo Sebastian Kneipp tätig war, zum internationalen Gesundheitstreffpunkt. Gleichzeitig schrieb er seine gesundheitlichen Erfahrungen in mehreren Büchern nieder. Mit seinen Erkenntnissen und Lehren legte Sebastian Kneipp den Grundstein für ein ganzheitliches, bis heute anerkanntes Naturheilverfahren: 2015 nahm die Deutsche Unesco-Kommission die Kneipp-Therapie in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes auf.

Die fünf Säulen nach Sebastian Kneipp

Sebastian Kneipp erkannte früh, dass der Schlüssel zur Gesundheit im harmonischen Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele liegt. Die von ihm definierten fünf Elemente – Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Balance – umfassen die wesentlichen Aspekte für einen gesunden Lebensstil. Seine Philosophie ist auch heute noch aktuell und die positive Wirkung des Wassers auf die Gesundheit ist in Studien bewiesen worden. Kneipp entwickelte über hundert Anwendungen mit Wasser – jede davon wirkt individuell auf Körper und Gesundheit – von schlaffördernd bis belebend, von hautstraffend bis schmerzlindernd. Und ganz egal ob Wechselgüsse, Dämpfe, Waschungen, Wickel, Packungen oder Bäder – die vitalisierende Abwechslung von Warm- und Kaltwasserreizen stimuliert Blutgefässe, Haut und Nerven und fördert die Durchblutung. Ausserdem stärkt das Wechselspiel aus Wärme- und Kältereizen das Immunsystem, tut der Psyche gut, kurbelt Heilungsprozesse an, reduziert Schmerzen, Entzündungen und Stress. Ganz nach dem Kneipp’schen Motto «Jede Anwendung ist zugleich eine Zuwendung» können einzelne Anwendungen in einfachen Schritten zu Hause ausprobiert werden. Auch spezialisierte Kliniken oder Wellness-Hotels bieten Kneipp-Therapien unter professioneller Anleitung an.

Heilpflanzen spielen ebenfalls eine grosse Rolle in der Kneipp’schen Philosophie, sei dies als Zugabe in Bädern oder in der Ernährung, die gemäss Kneipp möglichst ausgewogen und frisch sein soll. Zudem zählen auch Bewegung und Balance zu den fünf Säulen der Gesundheit, denn Pfarrer Kneipp war überzeugt, dass moderate Bewegung und ein ausgeglichener Lebensstil im Einklang mit der Natur die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützen und das körperliche Wohlbefinden fördern.

Kneippen zu Hause

Ohne grosse Hilfsmittel können beispielsweise Wassertreten oder ein warmes Fussbad zu Hause durchgeführt werden. Für das Wassertreten wird ein grosser Behälter oder die Badewanne bis zur Wadenhöhe mit kaltem Wasser gefüllt. Zuerst mit dem rechten, dann mit dem linken Bein einsteigen und zehnmal wie im Storchenschritt im Wasser treten, mehrmals pro Tag wiederholen. Wassertreten trainiert das Immunsystem, aktiviert die Selbstheilungskräfte und regt den Kreislauf und das Hormonsystem an. Für ein warmes Fussbad wird ein Becken mit 36 bis 39 Grad warmem Wasser gefüllt. Danach hält man die Füsse für maximal 20 Minuten hinein. Ein Fussbad erleichtert das Einschlafen und stärkt die Abwehrkräfte.

WICHTIG: Kneipp-Anwendungen sollten nur Menschen durchführen, die sich fit fühlen, nicht erkältet sind und nicht frieren. Bei offenen Wunden oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollte man nicht kneippen. Für Personen mit chronischen Erkrankungen ist es ratsam, zuerst mit der Hausärztin oder dem Hausarzt zu sprechen.

Kneippen daheim und unterwegs

Ob Arm-, Knie-, Schenkel- oder Gesichtsgüsse, milde Waschungen, Wickel oder Wechselbäder/Wechselduschen im Badezimmer zu Hause, Wassertreten in einem kühlen Bach beim nächsten Waldspaziergang oder einem Barfussweg oder ein belebendes Armbad in einem Brunnen – Wasseranwendungen nach Kneipp können überall schnell und einfach durchgeführt werden. Und während beispielsweise ein kühler Gesichtsguss Körper und Geist belebt und auch gegen Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit wirkt, ist ein Knie- oder Schenkelguss u.a. als beruhigende Einschlafhilfe beliebt. Zudem kann er chronisch kalten Füssen auf die Sprünge helfen. Damit die Anwendungen optimal wirken, sollten sie regelmässig – idealerweise täglich oder als Kur – durchgeführt werden. 

Yvonne Keller
Wasser hat einen grossen Einfluss auf unser Wohlbefinden.

Yvonne Keller

Medizinische Masseurin EFA und zertifizierte Hydrotherapeutin, Vorstandsmitglied Schweizer Kneippverband

Was ist Ihre persönliche Erfahrung in der Anwendung von Kneipp-Techniken in Ihrer Praxis?

Wasser hat einen grossen Einfluss auf unser Wohlbefinden – das erlebe ich täglich nicht nur am eigenen Körper, sondern auch, wenn ich in meiner Praxis Kneipp-Anwendungen durchführe.

Welche Tipps können Sie Personen geben, die mit dem Kneippen beginnen möchten?

Nicht zu schnell zu viel auf einmal zu wollen! Damit kann man sich leicht überfordern. Besser ist es, sich langsam zu gewöhnen – etwa an kalte Güsse.

Bei welchen gesundheitlichen Anliegen raten Sie zu Kneipp-Therapien als Unterstützung?

Ich setze Wassertherapien vorbeugend oder z.B. auch bei Schmerzen oder gegen Stress ein. Es ist wissenschaftlich belegt, dass regelmässige kalte Güsse nach Kneipp ein intensiver Reiz für den Körper sind und die Abwehrkräfte stärken, den Stoffwechsel aktivieren und den Kreislauf stabilisieren.

Haben Sie einen ultimativen Kneipp-Tipp in besonders stressigen Zeiten bzw. auch bei Hitze?

Bei Hitze, z.B. beim Wandern, empfehle ich den Kneipp-Espresso: ein kaltes Armbad, das unterwegs an einem Brunnen gemacht werden kann. Ärmel zurückkrempeln, einatmen und beim Ausatmen erst den rechten, dann den linken Arm bis zur Mitte der Oberarme eintauchen, im Kreis bewegen und wieder aus dem Wasser ziehen. Diese Übung kühlt, entschleunigt sofort und sorgt dafür, dass Herz und Lunge gut durchblutet werden.