Wenn ein Kind zur Welt kommt, wird von den Eltern und vor allem den Müttern erwartet, dass sie vor Glück platzen. Aber was, wenn das nicht der Fall ist? Die Psychologin Sonya Glanzmann erklärt, wie man mit Krisen und Überforderung umgeht.
Sonya Glanzmann
Psychologin und Psychotherapeutinin der Kinderklinik am Zürcher Stadtspital Triemli
Was bedeutet es, wenn sich das Glücksgefühl nach der Geburt nicht einstellt?
Viele Frauen schämen sich, fühlen sich schuldig und haben das Gefühl, keine gute Mutter zu sein. Oft fällt es ihnen schwer, darüber zu reden. Nicht zuletzt, weil in unserer Gesellschaft das Bild von überglücklichen Eltern propagiert wird. Es ist aber ganz normal, dass man sich mal überfordert fühlt. Das ist kein persönliches Versagen oder ein Zeichen dafür, dass man sein Kind zu wenig liebt.
Was sind Auslöser für Babyblues und Krisen?
Die Faktoren sind vielfältig: Da sind die hormonellen Veränderungen und die Schwangerschaft, die für viele Frauen nicht nur leicht sind. Auch die Lebenssituation hat einen Einfluss: Wie ist das soziale Umfeld? Hat man finanzielle Sorgen? Das Geburtserlebnis ist ebenfalls prägend. Eine Frühgeburt, ein ungeplanter Kaiserschnitt oder wenn das Kind auf einer Neugeborenenstation betreut werden muss – all das kann belastend bis traumatisierend sein. Und schliesslich das Kind selbst. So verlangen zum Beispiel Kinder mit Regulationsstörungen – Schreibabys – den Eltern viel ab.
Wie unterscheidet sich der Babyblues von einer postnatalen Depression?
Der Babyblues tritt kurz nach der Geburt auf, dauert meist einige Stunden oder Tage und klingt von selbst wieder ab. Man ist sensibel und muss oft weinen. Zwischen 50 und 80 Prozent der Frauen sind davon betroffen. Eine postpartale Depression, vielfach auch postnatale Depression genannt, ist eine schwerere, länger andauernde Erkrankung, die von einer Fachperson behandelt werden muss. Davon sind 10 bis 15 Prozent der Frauen betroffen. Wichtig: Die postpartale Depression ist behandelbar! Übrigens kann sie auch Männer treffen, rund 10 Prozent leiden darunter.
Wann braucht man in solchen Fällen Hilfe von Fachpersonen?
Wenn man sich mehrheitlich schlecht fühlt, sich nicht am Kind erfreuen kann, stark ambivalente Gefühle gegenüber dem Kind hat, sehr besorgt oder erschöpft ist, dann sollte man sich einer Fachperson anvertrauen. Auch die Hebamme, die Gynäkologin, der Kinderarzt oder die Mütter-/Väterberatung können Ansprechpersonen sein.
Was raten Sie Müttern, die sich überfordert fühlen?
Teilt euch mit, spannt das Umfeld ein, seid grosszügig mit euch selbst und nehmt Hilfe an – so viel, wie ihr bekommen könnt! Das können einfache Dinge sein: dass Besucher selbst kochen, dass Grosseltern zwei Stunden das Kind hüten oder dass man eine Nacht bei einer Freundin verbringt, um durchzuschlafen. Es gibt auch Entlastungsdienste, etwa vom Schweizerischen Roten Kreuz. Sich Unterstützung, Entlastung und Hilfe zu holen, kommt letztlich der ganzen Familie zugute, insbesondere auch dem Kind.
Wie kann das Umfeld unterstützen?
Indem man zuhört, verständnisvoll reagiert und nicht wertet. Entlastung anbieten und die erschöpfte Mutter ermutigen, Hilfe von einer Fachperson in Anspruch zu nehmen, ist ebenfalls wichtig. Zurückhaltend sollte man mit Tipps sein. Die sind zwar gut gemeint, verunsichern Eltern aber oft oder können als Vorwurf wahrgenommen werden.
Hier finden Sie Hilfe
Entlastungsdienst Schweizerisches Rotes Kreuz: www.srk-zuerich.ch/kinderbetreuung
Verein postnatale Depression: www.postnatale-depression.ch