Sucht

Ratgeber / Gesundheit

Schritt für Schritt aus der Sucht

04.11.2021 / von 

Der Weg aus einer Drogen- oder Medikamentensucht kann lang und steinig sein. Wer sich für einen Entzug entscheidet, wird von verschiedenen Seiten betreut. Dabei nehmen die Apotheken in der Schweiz eine bedeutende Rolle ein.

Die Fachpersonen in öffentlichen Apotheken haben die Aufgabe, Patientinnen und Patienten bei der Medikamentenabgabe über deren sachgerechte Anwendung und die richtige Dosierung zu informieren. Manche ärztlich verordneten Präparate, etwa aus der Gruppe der Benzodiazepine gegen Angst- und Schlafstörungen sowie Medikamente, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, erfordern aufgrund ihrer suchtgefährdenden Wirkung eine stärkere Überwachung. Werden Menschen mit erhöhter Missbrauchsgefahr mit entsprechenden Medikamenten therapiert, können behandelnde Ärztinnen und Ärzte eine begleitende Therapie anordnen. Dass während dieser Behandlung auch die Apotheke miteinbezogen wird, bringt zahlreiche Vorteile: Der Bezug der Medikamente findet über eine Fachperson statt, er ist dank der kundenfreundlichen Öffnungszeiten niederschwellig und unkompliziert und die Kosten sind im Vergleich zu einer stationären Behandlung für Prämienzahlende deutlich günstiger.

Kontrolliert oder unter Aufsicht

Bei der kontrollierten Abgabe wird der Patientin oder dem Patienten nicht eine ganze Packung, sondern eine der Verordnung entsprechende Menge des Arzneimittels ausgehändigt. Sie oder er teilt sich die verfügbare Menge für die festgelegte Zeitspanne selber ein. Eine weitere Möglichkeit ist die Einnahme der verordneten Medikamente unter Aufsicht. Dabei wird das Arzneimittel vor den Augen der Apothekerin oder des Apothekers eingenommen – einer missbräuchlichen Einnahme wird damit gezielt vorgebeugt.

Entwöhnungstherapie bei Abhängigkeit

Aus einem Missbrauch entwickelt sich nicht selten eine Abhängigkeit oder gar eine starke Sucht. Auch hier kennt das Schweizer Gesundheitssystem verschiedene Ansätze. Bei zuverlässigen, nicht massiv abhängigen Personen, die eine vollständige Abstinenz anstreben, kann eine ambulante Entwöhnungstherapie angeordnet werden. Voraussetzung dafür sind gute Rahmenbedingungen sowie keine anderen Abhängigkeiten. Sie kommt meist bei einer Alkoholsucht zum Zug. Innerhalb der Schweizer Sucht-Skala nimmt Alkohol vor Nikotin und Cannabis den Spitzenplatz ein – hierzulande sind rund 300'000 Personen alkoholabhängig, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Bei einer häufig angewandten Behandlungsform kommt ein Wirkstoff zum Einsatz, der die Verstoffwechselung von Alkohol beeinflusst. Wer während der Therapie Alkohol konsumiert, erleidet kurz danach eine äusserst unangenehme Unverträglichkeitsreaktion. Sie soll Betroffene daran hindern, Alkohol zu konsumieren und rückfällig zu werden. Auch die Einnahme dieses Medikaments erfolgt meist unter der Aufsicht einer Apothekerin oder eines Apothekers.

Behandlung der Heroinsucht

Bei der sogenannten substitutionsgestützten Behandlung erhalten opioidabhängige Menschen einen adäquaten Ersatz und die Therapie umfasst in der Regel körperliche, psychiatrische, psychotherapeutische und sozialpädagogische Massnahmen. Ziele sind eine Verbesserung des physischen und psychischen Gesundheitszustan-des und die Förderung der sozialen Integration. Durch die kontrollierte Abgabe eines Ersatzpräparats kann auch die Distanzierung vom illegalen Milieu herbeigeführt und ein Konsum von anderen Substanzen eingeschränkt werden. Über kontaminierte Spritzen werden Infektionskrankheiten wie Hepatitis und HIV leicht übertragen – ein Risiko, das bei einer Substitutionstherapie nicht entsteht. Langfristig sollen damit die Bedingungen für eine dauerhafte Abstinenz geschaffen werden.

Seit 1975 besteht in der Schweiz eine gesetzliche Grundlage zur Behandlung mit dem Substitutionsmittel Methadon. Dabei handelt es sich um ein synthetisch hergestelltes Opioid, es weist eine schmerzmindernde Wirkung auf, allerdings ohne Rauschzustände zu erzeugen – der «Kick» fehlt. Bei einer Heroinabhängigkeit kann Methadon oder Buprenorphin die Entzugssymptome lindern, macht aber bei einer länger dauernden Einnahme ebenfalls abhängig. Im Gegensatz zu Heroin wird es geschluckt und nicht gespritzt. Apothekerinnen und Apotheker in der Schweiz sind befugt, Methadonzubereitungen herzustellen und fertige Arzneimittel in Tropfen- oder Tablettenform abzugeben. Sie richten sich dabei nach der Verordnung der behandelnden Ärztin oder des Arztes. Die Fachpersonen in der Apotheke sind oft jahrelang an der Seite der Betroffenen und begleiten sie durch Hochs und Tiefs. Schweizweit befinden sich derzeit rund 18'000 Personen in einer Substitutionstherapie mit Methadon.

Kampf gegen die Sucht

Im Interesse der öffentlichen Gesundheit definiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Ziele im Kampf gegen Sucht und unterstützt Präventions- und Behandlungsprogramme. Schwere Folgeerkrankungen, wie alle Formen von Hepatitis, weitere Leber- und Nierenerkrankungen, HIV und psychische Probleme, sollen auf diese Weise vermindert werden. Das hilft den Betroffenen selbst und schont letztendlich auch das Gesundheitswesen durch das Wegfallen von hohen Therapiekosten. Die verordnete Suchttherapie in der Apotheke wird von der Grundversicherung der Krankenkasse übernommen.

Timur Cetintas
Beim Entzug ist es wichtig, dass beide Seiten ihre Versprechungen einhalten.

Timur Cetintas

Eidg. dipl. Apotheker und Betriebsleiter in Zürich

Wie beurteilen Sie die substitutionsgestützte Therapie, wie wir sie in der Schweiz kennen?

Das System hat sich bewährt. Es verfolgt das Ziel, dass Menschen den Weg aus der Sucht finden und wieder in den sozialen Alltag integriert werden. Leider gelingt das nicht immer zu 100 %. Mit der Abgabe von legalen Alternativen in einem therapeutischen Rahmen können wir mitverhindern, dass sich der Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten verschlechtert oder sie sich mit schweren Krankheiten anstecken. Das hilft nicht nur den Betroffenen selbst, es dient letztendlich auch der öffentlichen Gesundheit.

Welchen Einfluss hat das Umfeld auf den Erfolg der Therapie?

Das soziale Umfeld ist enorm wichtig. Wer Kontakte zum illegalen Milieu oder zu süchtigen Personen hat, erlebt in der Regel schneller einen Rückschlag. Ein intaktes Umfeld mit Familie und Freunden, die Unterstützung leisten, kann zweifellos zum erfolgreichen Weg aus der Sucht beitragen. Von allen Beteiligten ist viel Zeit, Energie und Geduld gefragt.

Was ist das Wichtigste bei der Zusammenarbeit zwischen Apotheke und einer Person im Entzug?

Menschen in einer solchen Situation erleben eine schwierige Zeit, eine gute Vertrauensbasis ist deshalb das A und O. Zu Beginn erkläre ich, was die Person bei der Therapie mit uns erwarten darf und was unsere Erwartungen an sie sind. Wichtig ist, dass beide Seiten ihre Versprechungen einhalten. Es braucht eine strikte Umsetzung und gleichzeitig Vertrauen und Menschlichkeit.