Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir schlafend.Reine Zeitverschwendung? Mitnichten! Denn Schlaf – ein Akt des völligen Loslassens – ist lebenswichtig.
«When we all fall asleep – where do we go?» Wohin gehen wir, wenn wir einschlafen?, fragte die junge Singer-Songwriterin Billie Eilish in ihrem melancholischen Debütalbum von 2019. Der Schlaf ist auch in der klassischen Musik ein beliebtes Thema: die Goldberg-Variationen, die Johann Sebastian Bach für einen von Schlaflosigkeit geplagten Grafen auf dem Cembalo komponiert hat, oder das bekannte Wiegenlied von Johannes Brahms sind nur zwei von vielen Beispielen. In der Malerei widmeten sich Hodler, Picasso, Klee, Matisse oder Dalí auf einigen ihrer Bilder dem Motiv des Schlafs. Und in der griechischen Mythologie finden sich zwei Götter, deren Namen in einer Therapieform und in einem Medikament weiterleben: In der Hypnose steckt Hypnos, der Gott des Schlafes, während der Traumbringer Morpheus dem Schlafmittel Morphin als Namensgeber diente.
Der Körper ruht, das Gehirn arbeitet
Was nachts mit uns geschieht, ist faszinierend –und komplex. Wenn wir müde sind, uns hinlegen, die Augen schliessen und in den Schlaf fallen, bekommen wir nichts von dem mit, was mit unserem Körper und unserem Gehirn geschieht. Mag der Vorgang des Schlafens noch immer einige Rätsel aufgeben, so wissen wir dank der modernen Schlafforschung eines mit Sicherheit: Guter Schlaf ist zentral für unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit. In diesem Zustand zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit laufen viele regenerierende und festigende Prozesse ab.
Das Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Vor dem Zubettgehen schüttet die Zirbeldrüse das Hormon (= Botenstoff) Melatonin aus, das uns müde macht und hilft, die Körpertemperatur zu senken. Ein anderes Hormon sorgt dafür, dass Blutdruck und Herzfrequenz sinken. Das Signal, das die Muskeln zur Entspannung bringt, kommt ebenfalls vom Gehirn. Schädliche Proteine, die tagsüber entstanden sind, werden nun abtransportiert. Die Hirnanhangdrüse setzt zudem das Wachstumshormon frei. Dieses repariert beschädigte Zellen und stärkt Knochen und Muskeln. Auch bei den Erinnerungen wird aufgeräumt: Schlafend verarbeiten wir die Erlebnisse des Tages. Das Gehirn speichert tagsüber Gelerntes in der Nacht ab und entscheidet, was behalten oder gelöscht wird. Im Schlaf stärken wir ausserdem unser Immunsystem, indem es Abwehrzellen gegen Infektionen und Viren produzieren kann.
Sleep, deep, dream – repeat
Ähnlich wie das Programm einer Waschmaschine durchläuft auch der Schlaf verschiedene Abschnitte. Die Schlafforschung unterscheidet drei Schlafphasen, die sich vier- bis fünfmal in ähnlicher Art wiederholen. Eingeleitet werden die ersten Phasen durch Tiefschlaf, der bis zu 60 Minuten dauern kann. Im Verlauf der Nacht wird der Tiefschlaf von leichterem Schlaf abgelöst. Am Ende jeder Phase steht der sogenannte REM-Schlaf (REM = Rapid Eye Movement). Der dauert im ersten Zyklus 10 bis 20 Minuten und verlängert sich in jedem Zyklus. Im REM-Schlaf träumen wir, die Augen bewegen sich schnell. Schlafen wir gut, wachen wir am Morgen ausgeruht und erholt auf.
Nur ein Wunschtraum?
In der Schweizer Gesundheitsbefragung des Bundesamts für Statistik klagte im Jahr 2012 rund ein Viertel der Befragten über Schlafstörungen. Laut der letzten Umfrage von 2022 leidet bereits ein Drittel der Bevölkerung ab 15 Jahren unter mittleren bis schweren Schlafstörungen. Ein Grund dafür könnte sein: Stress und Erwartungen haben in der Gesellschaft zugenommen. Wie wir leben und arbeiten, wie und wann wir uns ernähren und bewegen, wie stark äussere Reize und Zwänge uns beeinflussen und wie gut es uns gelingt, körperlich und geistig zu entspannen – all das hat grossen Einfluss auf den Schlaf. Angesichts der komplexen Prozesse während des Schlafes erstaunt es nicht, dass schlecht Schlafende Symptome zeigen wie Müdigkeit, Gereiztheit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, depressive Verstimmungen, Anfälligkeit für Erkältungen bis hin zu reduzierter Libido.
Es ist ganz natürlich, dass wir nicht jede Nacht gleich gut schlafen. Das ist meist bestens zu verkraften. Wer jedoch kurzzeitige Atemaussetzer während des Schlafs hat, an einer chronischen Schlaflosigkeit, einer Depression oder am Restless-Legs-Syndrom – dem Bewegungsdrang der Beine beim Einschlafen – leidet, sollte ärztliche Hilfe suchen.
Die Nacht macht den guten Tag
Gute Schlafgewohnheiten zu entwickeln, hilft bei vorübergehenden Schlafstörungen – allerdings, ohne dabei wieder in den Stress zu geraten, perfekt sein zu wollen. Denn beim Schlaf ist es wie mit der Liebe: Wir können krampfhaft nach ihr suchen oder für gute Bedingungen sorgen, damit sie uns findet.
Es hilft zu wissen, dass nicht alle Menschen gleich viel Schlaf brauchen. Zwischen 7 und 9 Stunden sind es für Erwachsene pro Nacht, so das Mittel. Manche kommen auch mit weitaus weniger Schlaf aus. Es gilt, auf die eigene innere Uhr zu hören. Bin ich eher der Morgentyp voller Tatendrang (Typ Lerche) oder gehöre ich zum Typ Eule, der erst nachmittags so richtig auf Touren kommt? «Untersuchungen haben gezeigt, dass die innere Uhr von Frühtypen eher nach einem 22-Stunden-Tag tickt, jene von Spättypen hingegen nach einem 25- bis 26-Stunden-Zyklus», so der Berliner Schlafmediziner Dieter Kunz (siehe Interview). «Und: Es ist genetisch bestimmt, wer Lerche und wer Eule ist.»
- Bewegung, frische Luft und Tageslicht fördern den guten Schlaf in der Nacht.
- Verwandeln Sie das Schlafzimmer in eine Oase der Geborgenheit. Die ideale Zimmer- temperatur liegt zwischen 16 und 18 Grad.
- Versuchen Sie abends, einer entspannen- den Routine zu folgen, z.B. eine Tasse beruhigenden Lavendeltee geniessen, lesen oder Musik hören, Bildschirmzeit reduzieren und Licht dimmen.
- Zwischen der letzten körperlichen Aktivi tät bzw. der letzten Mahlzeit und dem Schlafengehen sollten zwei Stunden liegen.
- Behalten Sie den Genuss von Alkohol und Koffein nach 14 Uhr im Auge. Beides verschlechtert den Schlaf. Nikotin übrigens auch.
- Liegen Sie nicht länger als 25 Minuten wach. Lesen Sie oder machen Sie Atem- oder leichte Yoga-Übungen, bis Sie wieder schläfrig sind.
Pd. Dr. Dieter Kunz
Chefarzt der Klinik für Schlaf & Chronomedizin, St.-Hedwig-Krankenhaus in Berlin und Geschäftsführer der Intellux Berlin GmbH
Wie viel Schlaf braucht der Mensch?
Dass jeder Mensch 8 Stunden Schlaf braucht, ist Quatsch. Wichtiger ist die Schlafqualität. Schlafende bekommen am wenigsten vom eigenen Schlaf mit. Deshalb frage ich Patienten nicht: Wie gut schlafen Sie? Entscheidend ist, ob sich der Körper während des Schlafs genügend regenerieren kann. Darum lautet die Frage: Wie fühlen Sie sich tagsüber?
Was erfahren Menschen, die zum Schlafmediziner gehen?
Im Schlaflabor messen wir viele Biosignale wie Hirnströme und nehmen auch Videos auf. Manche Patienten sind tagsüber müde, glauben aber, dass sie gut schlafen. Im Video ist aber zu sehen, dass sie unzählige Male aufgewacht sind oder im Schlaf sprechen, treten oder schlagen.
Welchen Einfluss haben Licht und Jahreszeiten auf den Schlaf?
Im menschlichen Körper stecken 2 Mio. Jahre Evolution. Er ist auf das Licht draussen ausgerichtet. Das kaltweisse Tageslicht macht morgens munter und aktiv. Am Abend ist dieses weg und das orangerote Dämmerlicht bringt den Körper zur Ruhe. Kaltweisses oder blaues Kunstlicht am Abend stört die innere Uhr.
Ist der Mensch im Sommer ein anderer als im Winter?
Absolut. Im Sommer ist der Schlaf kürzer als im Winter, die Menschen sind viel draussen und gut gelaunt. Im Winter nehmen die Energiereserven ab, wir leben in einem Energiesparmodus, es kann zu einer Winterdepression kommen. Aus biologischer Sicht halte ich es für klug, die Zeitumstellung beizubehalten. Im Herbst sollten wir dann versuchen, den Sommer zu verlängern. So lässt sich der Winterblues, der meist gegen Februar, März zuschlägt, bis in den Frühling hinauszögern.