Die Sommerferien werden für viele Familien zum Stresstest. Psychotherapeutin Sandra Grubenmann erklärt, warum das so ist – und wie sich die Ferien für alle Familienmitglieder entspannter gestalten lassen.
Sandra Grubenmann
Psychotherapeutin
Frau Grubenmann, die Ferienzeit ist zur Erholung da. Warum kriselt es gerade dann so oft?
Das muss nicht sein. Ich höre von vielen Familien, dass es in den Ferien entspannter ist, weil sie den Schul- und Alltagsstress hinter sich lassen können und mehr Zeit für sich haben. Tatsache ist aber auch: Wenn es im Alltag bereits Konflikte gibt, ist es wahrscheinlich, dass sich diese in den Ferien zusätzlich verstärken.
Was sind typische Stressfaktoren?
In den Ferien ist vieles etwas komplizierter als zu Hause. Es ist mühsamer, den Schoppen zu machen, die Spielsachen sind nicht verfügbar, die Freunde fehlen – das alles sind potenzielle Stressfaktoren. Hinzu kommt, dass man sich in den Ferien meistens nicht so schnell aus dem Weg gehen kann. Dadurch steigt die Gefahr, dass es irgendwann «klöpft».
Wie lassen sich Konflikte vermeiden?
Es geht nicht darum, Konflikte zu vermeiden, sondern zu lernen, wie man sie austrägt. Dazu gehört auch, dass man sich über die No-Gos im Klaren ist: Physische Gewalt, Beleidigungen oder Drohungen sind inakzeptabel. Kinder sollen jedoch lernen, ihre eigenen Bedürfnisse zu vertreten und auch Meinungsverschiedenheiten auszuhalten. Zum Streiten gehört es dazu, Kompromisse zu finden und sich wieder zu versöhnen. Das gilt für Paare genauso wie für Familien.
Versöhnung hin oder her: Das Thema Ferien bleibt für viele Familien mit Herausforderungen verbunden.
Zweifellos. Ein Grund ist sicher, dass die Ferien als Familie von Mal zu Mal anders sind. Im Gegensatz zu uns Erwachsenen verändern sich die Kinder stetig. Im Zuge dessen wandeln sich auch ihre Bedürfnisse. So kann es vorkommen, dass die Strandferien, die im Vorjahr so harmonisch waren, diesen Sommer plötzlich nicht mehr so gut laufen.
Sollte man die Ferienpläne nach den Wünschen der Kinder ausrichten?
Wenn Sie meinen, dass man den Kindern in den Ferien jeden Wunsch erfüllen soll, dann lautet die Antwort ganz klar: nein. Ich vertrete allerdings die Meinung, dass man die Kinder durchaus in die Planung miteinbeziehen soll. Wenn die Kids zum Beispiel in einem Alter sind, in dem sie in der Lage sind, beim Packen mitzuhelfen, sollte man sie auch involvieren.
Die einen wünschen sich in den Ferien Action, andere sehnen sich nach Ruhe. Wie bekommt man verschiedene Bedürfnisse unter einen Hut?
Das braucht viel Kompromissbereitschaft und Flexibilität. Mein Mann und ich waren früher zum Beispiel richtige Globetrotter. Als die Kinder kamen, wollten wir auch mit ihnen um die Welt reisen. Doch dann merkten wir, dass unsere Tochter Mühe hatte, an fremden Orten einzuschlafen. Während andere Familie wunderbar mit kleinen Kindern reisen können, war es für uns schwierig – also passten wir unsere Pläne an. Grundsätzlich sollte man sich stets überlegen, welches die richtigen Ferien für die aktuelle Familiensituation sind. Gerade Jugendliche entwickeln ihre ganz eigenen Ideen von idealen Ferien.
Welche Strategien tragen zu einem gelungenen Urlaub bei?
Man sollte die Erwartungen tendenziell etwas herunterschrauben. Familienferien sind nun mal etwas anderes als ein romantischer Paarurlaub. Ein Schlüsselfaktor, damit der Start in die Ferien gelingt, ist die Vorbereitung darauf. Auch kleine Kinder kann man involvieren und ihnen anhand von Büchern oder Fotos zeigen, wohin die Reise führt. Hilfreich kann es auch sein, wenn die Kinder vertraute Gegenstände mitnehmen können – das kann zum Beispiel ein Kuscheltier oder ein Kissen sein.
Oft sieht man bei Restaurantbesuchen, dass Kinder mit Telefonen und Tablets «ruhiggestellt» werden.
Tablets an den Tischen sind vor allem auch in der Schweiz häufig zu sehen. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass unsere Gesellschaft nicht besonders kinderfreundlich ist. In Italien oder Spanien ist es überhaupt kein Problem, wenn es in einem Restaurant mal laut wird. Wenn man bei einem Restaurantbesuch trotzdem ausnahmsweise zum Tablet greift, ist das kein Weltuntergang. Ein Problem ist jedoch, dass viele Kinder auch sonst schon zu viel vor dem Bildschirm sitzen.
Welche Aktivitäten oder Rituale können dazu beitragen, die Bindung zwischen Familienmitgliedern zu stärken?
Rituale sind nicht nur im Alltag, sondern auch im Urlaub ungemein wichtig. Bei jüngeren Kindern sollte man zum Beispiel die Einschlaf- und Tischrituale unbedingt in den Ferien fortführen – das gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Und wann sollte man die Notbremse ziehen und die Ferien abbrechen?
Sicher nicht beim ersten Streit. Klar ist aber auch: Abbrechen ist besser, als auf Biegen und Brechen etwas durchzuziehen. Die nächste Feriengelegenheit folgt bestimmt!
• Vorbereitung ist alles: Erstellen Sie eine Packliste für jedes Familienmitglied, um nichts Wichtiges zu vergessen. Überlegen Sie gemeinsam mit den Kindern, was mitsoll und was nicht.
• Verreisen mit anderen Familien: Klären Sie Erwartungen und Pläne im Voraus, um Missverständnisse zu vermeiden. Teilen Sie Aufgaben und Betreuungszeiten unter den Erwachsenen auf.
• Planen Sie Zeit zu zweit: Suchen Sie nach Kinderbetreuungsmöglichkeiten am Ferienort oder planen Sie «Elternzeit» ein, um auch als Paar entspannen zu können.
• Bleiben Sie flexibel: Halten Sie Ihren Reiseplan flexibel. Planen Sie genügend Pausen und freie Zeiten ein, damit sich alle erholen und spontane Abenteuer erleben können.