Die meisten Familien kennen die Streitereien rund um den Mediengebrauch. Medienexpertin und Psychologin Sharmila Egger erklärt, wie klare Abmachungen und abwechslungsreiche Alternativen helfen können, den Alltag ausgewogen zu gestalten.
Tablet, Smartphone, PC oder TV – Bildschirme sind für Kinder und Jugendliche von heute ein fester Bestandteil in ihrem Alltag. Dabei ermöglichen Online-Medien einen so gut wie unbegrenzten Zugang zu Bildung, Netzwerken und Unterhaltung. Sie bergen aber auch Gefahren, wie beispielsweise einen ungefilterten Umgang mit Informationen und Schönheitsidealen, Mobbing oder Suchtentwicklung. Das Erlernen von Medienkompetenzen ist daher schon in jungen Jahren unabdingbar geworden. Diese Entwicklung verlangt den Eltern einiges ab. Denn sie müssen sich nicht nur mit der Frage auseinandersetzen, welche Inhalte und Geräte sie ihrem Nachwuchs zugänglich machen, sondern auch damit, wie viel Bildschirmzeit je nach Alter angemessen ist.
Ab wann wieviel Bildschirmzeit?
«Viele Mütter und Väter wünschen sich klare Vorgaben zu einer altersgerechten Medienzeit. Dies ist jedoch nicht so einfach zu beantworten, schliesslich ist jedes Kind und jede Familiensituation anders», erläutert Sharmila Egger, Medienpädagogin bei zischtig.ch. Die vom Bund herausgegebenen goldenen Regeln formulieren daher lediglich generelle Empfehlungen als Richtlinien. Hierzu gehört, dass in den ersten drei Lebensjahren auf digitale Geräte möglichst verzichtet wird. Zwischen drei und sechs Jahren sollte man Medien nur gemeinsam und sehr reduziert nutzen, und im Alter von sechs bis neun Jahren steht eine spielerische Verwendung mit gleichzeitigem Erklären im Vordergrund – am besten auf einem gemeinschaftlich genutzten Tablet oder PC. Ab dem neunten Lebensjahr kann man gemeinsam besprechen, ob und in welchem Ausmass ein eigenes Mobiltelefon oder Internetzugang sinnvoll ist.
Diese Anhaltspunkte lassen den Eltern einen Ermessensspielraum, den sie nach ihrem Gutdünken und je nach Reifegrad des Kindes immer wieder neu gestalten können. Ebenso sind die individuellen Interessen und Aktivitäten am Bildschirm zu berücksichtigen. «Wichtig ist, den Fokus nicht auf Einschränkungen und Filterfunktionen zu legen, sondern auf Aufklärung und Besprechen von gemachten Erfahrungen», betont die Medienexpertin. «Wenn in der Familie klar festgelegt ist, ab welchem Alter welche Geräte, Apps und Spiele zugelassen sind, wird das auch von den Jüngeren meist recht gut akzeptiert.»
Ziel sollte es sein, die Kinder und Jugendlichen zu einem selbstkritischen Umgang mit Medien zu führen und ihnen spätestens ab dem zwölften Geburtstag zunehmend die Verantwortung für ein vereinbartes wöchentliches Zeitbudget zu überlassen. Dafür kann man anfangs auf gut sichtbare Hilfsmittel wie einen Wecker zurückgreifen, um ein Gefühl für die festgelegte Zeitdauer zu schaffen. Und natürlich sollte man versuchen, mit möglichst gutem Beispiel voranzugehen und nicht stundenlang selbst durch das Handy zu scrollen. Kinder orientieren sich automatisch an ihren erwachsenen Vorbildern zu Hause.
Gesunde Balance zwischen digitaler und analoger Welt
Idealerweise erarbeitet man als Familie zusammen einen Wochenplan, in dem Bildschirm- und Medienzeiten sowie sonstige Aktivitäten klar festgehalten werden. Sharmila Egger rät: «Man kann dies visualisieren, beispielsweise als farbige Stundentafel, die gut sichtbar am Kühlschrank hängt. Ende der Woche lässt sich dann ein Rückblick erstellen – etwa mithilfe einer Checkliste.» Zusätzlich empfiehlt es sich, auf den Geräten die wöchentliche Anzeige und Analyse der Bildschirmzeit zu aktivieren. So erkennt man, wofür die Medienzeit eingesetzt wurde. Nimmt diese überhand, sollte man überlegen, welche Bedürfnisse damit gedeckt wurden und ob diese anderweitig gestillt werden können. Ging es um einen Action-Kick, der vielleicht durch einen Besuch im Kletterpark ersetzt werden kann? Oder wollte man entspannen und richtet sich dafür besser eine Hängematte oder Kuschelecke ein?
Eine ausgewogene Balance zwischen digitaler und analoger Welt ist wichtig für das körperliche und mentale Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Bei zu langen Bildschirmzeiten werden negative Auswirkungen wie Schlafstörungen, Gewichtszunahme, Vereinsamung, Hyperaktivität oder Stimmungsschwankungen beobachtet. Für einen gesunden Ausgleich ist es wichtig, dass ausreichend Erholung und Schlaf gewährleistet sind. Anschliessend sollte man für viel Bewegung und Sport sowie Abwechslung durch Hobbys wie Musik, Malen, Werken oder Backen sorgen. Auch soziale Kontakte sowie Lesen oder Weiterbildung dürfen nicht zu kurz kommen. Der Umgang mit Medienkonsum hingegen wird am besten wie der Verzehr von Süssigkeiten gehandhabt: sparsam und bewusst.
Das ist häufig einfacher gesagt als getan. Gerade während der Corona-Pandemie hat sich die Medienzeit bei vielen Familien verlängert. «Dagegen kommt man am besten mit vielen Gesprächen an», sagt die Medienpädagogin. «Wenn man gemeinsam analysiert, dass es sich während des Lockdowns um eine ungewöhnliche Zeit mit mehr Bildschirmzeit handelte, ist das eine wichtige Erkenntnis.» Basierend darauf kann man überlegen, welche Aktivitäten man gerne wieder oder neu aufnehmen möchte. Es braucht zudem klare Abmachungen und Geduld, denn Gewohnheitsänderungen benötigen Zeit.
Langeweile gehört zur Entwicklung
Und wenn ohne Gerät Langeweile aufkommt? «Eltern sollten in solchen Situationen lernen, getroffene Abmachungen konsequent durchzuziehen und Reaktionen wie Tränen, Streit oder Tobsucht möglichst gelassen auszuhalten. Diese gehören zur Entwicklung dazu. Kinder und Jugendliche müssen verstehen, dass dieser Zustand nicht grundsätzlich schlecht ist und daraus eine neue Idee oder Beschäftigung entstehen kann – wenn auch vielleicht nicht gleich beim ersten Versuch», meint Sharmila Egger. Zum Schluss hat sie noch einen Tipp: «Es hilft, wenn man vorher vereinbart, welche Aktivität auf die Bildschirmzeit folgt. Das verhindert eine gewisse Leere beim Abschalten.»
Sharmila Egger
Medienpädagogin und Psychologin
Sharmila Egger ist Medienpädagogin und Psychologin bei zischtig.ch. Dieser gemeinnützige Verein setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche in der Deutschschweiz vor Online-Sucht, Cybermobbing und anderen Risiken geschützt werden. Mit einem Vermittlungsstil auf Augenhöhe soll der Nachwuchs zu einer gewinnbringenden, selbstbestimmten und sicheren Mediennutzung befähigt werden. Ausserdem stehen Eltern, Betreuungs- und Fachpersonen diverse Weiterbildungsangebote und Familienberatungen zur Verfügung.
On- oder Offline?
Der gemeinnützige Verein zischtig.ch empfiehlt folgenden Umgang mit Medienzeit in der Familie:
- Wählen Sie zum Besprechen von Medienzeiten stressfreie Momente.
- Je weniger Geräte zu Hause direkt sichtbar sind, desto kleiner ist die Versuchung.
- Bestimmen Sie gemeinsam, wann, wo und für wie lange Geräte genutzt werden und wann Familienzeit ohne digitale Medien ist.
- Sorgen Sie für genügend Ablenkung mit attraktiven Alternativen, draussen und drinnen – ohne Aufräumdruck, so ist bildschirmfreies Spielen reizvoller.
- Fassen Sie einfache, gut realisierbare Vorsätze: das Handy bei Tisch abschalten, Push-Benachrichtigungen deaktivieren oder kein Handy vor dem TV.
- Zelebrieren Sie gemeinsame Bildschirmzeit, etwa bei einem Filmabend mit Popcorn.
- Sammeln Sie Ideen für attraktive Offline-Aktivitäten, zum Beispiel mit einer Wünsch-dir-was-Karte für jedes Familienmitglied.