Epilepsie

Ratgeber / Gesundheit

Epilepsie: Gewitter im Kopf

25.09.2023 / von 

Bei einer Epilepsie treten wiederholt sogenannte epileptische Anfälle auf.In der Schweiz sind 80'000 Menschen von der Krankheit betroffen.Rund zwei Drittel davon leben dank gut aufeinander abgestimmten Medikamenten anfallsfrei.

Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns und kann verschiedene Ursachen haben. Von einer Erkrankung spricht man dann, wenn mindestens zwei nicht provozierte epileptische Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden auftreten. Es ist also möglich, dass Menschen einmal im Leben einen Anfall erleben, nicht aber unter der Krankheit leiden. Betroffen sind häufig Kinder und junge Erwachsene sowie Menschen ab 60 Jahren. Bei Ersteren sind die Ursachen Verletzungen des Gehirns, genetische Veranlagung, vorgeburtliche Hirnschädigungen oder Hirnfehlbildungen. Aus diesem Grund sind oft Personen mit einer geistigen Beeinträchtigung von der Krankheit betroffen. Im Alter gehen epileptische Anfälle eher auf Schlaganfälle, Gehirntumore, Stoffwechselerkrankungen, Hirnhaut- oder Gehirnentzündungen oder autoimmun-entzündliche Erkrankungen zurück. Häufig ist aber auch keine sichtbare oder eindeutige Ursache für die Epilepsie feststellbar. Das wichtigste Symptom einer Epilepsie sind epileptische Anfälle. Diese entstehen, wenn sich Gruppen von Nervenzellen im Gehirn plötzlich gleichzeitig entladen. Wie sich ein Anfall zeigt, hängt davon ab, wie viele Nervenzellen sich auf einmal entladen, welche Bereiche des Gehirns betroffen sind und ob sich die Entladungen ausbreiten.

Extremzustand im Gehirn

Das Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen, die miteinander vernetzt sind. Bei einem Anfall entsteht eine Überaktivität von Teilen dieses Netzwerks, gruppierte Nervenzellen geben gleichzeitig Signale ab. Epilepsie wird oft als «Gewitter im Gehirn» bezeichnet, epileptische Anfälle können in diesem Zusammenhang mit «Blitzschlägen» verglichen werden. Und wie bei einem Blitzschlag kann ein Anfall nicht genau vorhergesagt werden. Eine «Wettervorhersage», also eine Einschätzung des Anfallrisikos, können Ärztinnen und Ärzte aufgrund des bisherigen Anfallskalenders, der Elektroenzephalografie (Hirnstromkurve) und der Bildgebung des Gehirns vornehmen. Häufig beobachtete Ursachen für Anfälle sind Schlafmangel, körperliche oder seelische Belastung, hohes Fieber, Entzug von Alkohol, Drogen oder Schlafmittel, bestimmte Medikamente und grelles, flackerndes Licht, wie etwa in einer Disco.

Epileptischer Anfall

Die Dauer eines epileptischen Anfalls beträgt in der Regel nicht länger als zwei bis drei Minuten und hört meistens von allein auf. Grundsätzlich wird zwischen vier Anfallsarten unterschieden: Absences sind kurze Anfälle, die meist im Kindesalter auftreten und mit einer Trübung des Bewusstseins einhergehen. Betroffene scheinen in einem Tagtraum versunken zu sein und reagieren nicht auf Ansprache. Bei einem myoklonischen Anfall kommt es in kurzer Folge zu Zuckungen einzelner Muskelgruppen. Diese Epileptiker*innen bleiben bei Bewusstsein. Fokale Anfälle kündigen sich häufig mit einer sogenannten Aura an, zum Beispiel durch verändertes Riechen und Schmecken, Schwindel, Halluzinationen oder Ängste. Die häufigsten Symptome sind halbkoordinierte Bewegungen, wie Nesteln an der Kleidung, Zuckungen, Sprachstörungen, ein starrer Blick oder die Trübung des Bewusstseins. Bei einem fokalen Anfall sind einzelne Hirnbereiche betroffen, er kann in einen generalisierten tonisch-klonischen Anfall (Grand-Mal-Anfall) übergehen. Dabei sind beide Hirnhälften betroffen. Die Folgen sind Bewusstlosigkeit sowie Zuckungen und Verkrampfungen der Extremitäten. Solche Anfälle können heftige Zungenbisse, Einnässen und Verletzungen durch Stürze mit sich bringen. Nach einem epileptischen Anfall sind die Betroffenen meistens sehr erschöpft.

Medikamente bei Epilepsie

Menschen mit einer diagnostizierten Epilepsie sind auf eine Dauermedikation angewiesen. Die sogenannten Antiepileptika oder Antikonvulsiva unterdrücken epileptische Anfälle, indem sie spannungsabhängige Kanäle hemmen oder inaktivieren. Dadurch verlieren die Nervenzellen ihre Fähigkeit, krampfvermittelnde hochfrequente Reize weiterzuleiten. Heilbar ist die Krankheit dadurch zwar nicht, aber durch die stetige Einnahme von Antiepileptika können zwei Drittel der Betroffenen ein weitgehend anfallsfreies Leben führen. Bei der Einnahme solcher Medikamente ist grosse Sorgfalt geboten. Schon kleinste Schwankungen in der Dosis können einen Anfall auslösen. Gelingt es nicht, die Anfälle durch eine medikamentöse Therapie in Schach zu halten, kann ein chirurgischer Eingriff Abhilfe schaffen. Er ist allerdings nur bei einer fokalen Epilepsie möglich, bei der Anfälle durch einen einzigen Herd ausgelöst werden. Während der Operation wird der exakt lokalisierte Anfallsherd millimetergenau entfernt. Die Fachpersonen in der Apotheke stehen Epileptiker*innen und ihren Angehörigen gerne zur Seite.

Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall

Es ist praktisch unmöglich, einen Anfall zu unterbrechen, der einmal begonnen hat. Am wichtigsten ist es, Betroffene vor Verletzungen zu schützen.

Wie handeln?

  • Ruhe bewahren
  • Betroffene aus Gefahrenzone entfernen
  • Alles wegräumen, was im Weg ist
  • Etwas Weiches unter den Kopf legen
  • Beengende Kleidungsstücke am Hals lösen
  • Brille abnehmen
  • Blick auf die Uhr: Anfallszeit feststellen, bei längeren Episoden (3 Minuten) die Ambulanz rufen

Während des Anfalls:

  • Nichts zwischen die Zähne zwängen
  • Krampferscheinungen nicht unterdrücken
  • Den Betroffenen nicht aufrichten
  • Nichts zu trinken geben
  • Nicht beatmen
Carmen Dürig
Zu wissen, was die Krankheit ist und wie sie sich äussert, ist die beste Voraussetzung für eine wertvolle Unterstützung.

Carme Dürig

Eidg. dipl. Apothekerin und Betriebsleiterin

Was ist bei einer Dauermedikation mit Antiepileptika zu beachten?

Das Wichtigste ist die korrekte Einnahme nach Verordnung. Die Antiepileptika-Therapie sollte beim Bezug von zusätzlichen Medikamenten, etwa bei Schmerzmitteln, in der Apotheke oder beim Arzt erwähnt werden, da die Gefahr von Wechselwirkungen besteht. Zudem dürfen Antiepileptika nicht durch Generika (Nachahmerprodukte) ersetzt werden. Schon kleine Schwankungen im Serumspiegel können erneut Anfälle verursachen. Antiepileptika werden eingeschlichen, das heisst, bei einer Diagnose startet man mit einer kleinen Dosis und erhöht diese schrittweise bis zur Zieldosis.

Epilepsie und Schwangerschaft, geht das?

Ja, das ist grundsätzlich möglich. Epileptikerinnen werden mit einer Monotherapie behandelt, bei der das Risiko für Fehlbildungen kleiner ist. Dennoch leidet ein kleiner Prozentsatz der Kinder unter einem fetalen Antiepileptikasyndrom, das zeigt sich etwa durch eine Lippenspalte, Herzfehlbildungen oder Wachstumsstörungen. Eine Nichtbehandlung ist keine Option: Nicht kontrollierte generalisierte Krampfanfälle während der Schwangerschaft können zu massiven Schädigungen und zum Kindstod führen. Ein Hinweis für junge Epilepsiepatientinnen ohne Kinderwunsch: Lassen Sie sich von Ihrer behandelnden Ärztin zu einer zuverlässigen Schwangerschaftsverhütung beraten.

Wie können Angehörige betroffene Personen unterstützen?

Zu wissen, was die Krankheit ist und wie sie sich äussert, ist die beste Voraussetzung für eine wertvolle Unterstützung. Meist sind es kleine Hilfestellungen im Alltag, die viel bewirken. Zum Beispiel Mitfahrgelegenheiten bei Fahruntauglichkeit, Hilfe bei der Medikation oder die Vermeidung von Stress.

Epilepsie in der Geschichte

Epilepsie gehört zu den häufigsten chronischen Krankheiten weltweit. Menschen mit Epilepsie sind im Lauf der Geschichte sowohl positiv wie negativ stigmatisiert worden. Bei antiken Kulturen galten Menschen mit Epilepsie teils als Heilige: Ihnen schien der Übergang in einen Trancezustand besonders leichtzufallen. Die Griechen sprachen gar vom «Besessensein der göttlichen Macht», je nach Art des Anfalls wurden verschiedene Götter mit der Krankheit in Verbindung gebracht. Im Mittelalter wurde ein epileptischer Anfall als «Angriff von oben», eine «göttliche Strafe» oder eine «dämonische Besessenheit» interpretiert, mit teils schwerwiegenden Folgen für Betroffene. Erst im 17. und 18. Jahrhundert erlangte die Krankheit einen neuzeitlichen Stellenwert. Als Höhepunkt der negativen Stigmatisierung in der jüngeren Geschichte gilt die Zeit des Nationalsozialismus. Damals wurden Epileptiker*innen mit Zehntausenden anderen körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigten Menschen systematisch ermordet.