Migräne

Ratgeber / Gesundheit

Das Hämmern im Hirn

24.02.2021 / von 

Fast 12 Prozent der Schweizer Bevölkerung leiden an Migräne. Lesen Sie, was Sie gegen den pulsierenden Kopfschmerz unternehmen können.

Typisch für Migräne sind pochende, pulsierende, starke Schmerzen auf nur einer Seite des Kopfes. Sie unterscheidet sich damit vom Spannungskopfweh, das sich drückend, dumpf oder beengend anfühlt, beidseitig oder sogar im ganzen Kopf auftritt und von leichter oder mittlerer Intensität ist.

Wer Migräne hat, leidet nicht nur an schlimmen Kopfschmerzen – Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die das Leben sehr stark beeinträchtigen kann. Während es die meisten «nur» ein- bis zweimal im Monat trifft, kämpfen über 250'000 Personen – 85 Prozent davon Frauen – in der Schweiz mit einer chronischen Migräne. Das ist nicht nur für die Betroffenen schlimm, sondern die Attacken haben auch Auswirkungen auf ihr Umfeld. 90 Prozent der Migräne-Geplagten können während einer «Attacke» nicht normal funktionieren oder arbeiten. Der Schmerz ist einfach zu stark. Dazu kommen weitere Symptome wie Übelkeit oder Lichtempfindlichkeit (siehe Box Seite 11). Nicht selten bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in einem dunklen Zimmer zu liegen, bis die Qual vorüber ist – was bis zu drei Tage dauern kann. Manchmal ist es sogar so schlimm, dass der Gang zur Notaufnahme nötig wird, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen. So gesehen wirkt sich Migräne auch auf die Wirtschaft aus – auf deren Kosten Jahr für Jahr etwa zwei Millionen Arbeitstage verloren gehen.

Überaktive Nervenzellen

Neun von zehn Migränikern haben eine familiäre Vorgeschichte, die Gene spielen also bei dieser Krankheit eine wichtige Rolle. Am häufigsten tritt das Leiden im Alter von 25 bis 55 Jahren auf, aber bereits Kinder können betroffen sein. Doch wie entsteht das Hämmern im Hirn überhaupt? Neuesten Vermutungen zufolge entwickelt sich Migräne aufgrund einer Störung des Gleichgewichts von Schmerzzentren beziehungsweise einer Überaktivität von Nervenzellen im Hirnstamm.

Dass dreimal mehr Frauen als Männer an Migräne leiden, ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass schwere und häufigere Attacken nicht selten die Folge von Hormonschwankungen während des Zyklus (Eisprung, Menstruation) sind. Zu den wichtigsten Auslösern – sogenannten Triggern – gehört auch körperlicher oder seelischer Stress. Weitere mögliche Trigger: wechselnder Schlaf-wach-Rhythmus, Unregelmässigkeiten im Tagesablauf (z. B. Unterzuckerung, Hungerzustand), bestimmte Nahrungsmittel (z. B. Alkohol oder Molkereiprodukte), Wetter- und Höhenveränderungen, äussere Reize (z. B. Flackerlicht, Licht, Lärm, Gerüche), starke Emotionen (Freude, Trauer, Angst, Schreck), Medikamente (gegen Herzkrankheiten, Potenzmittel) oder verqualmte Räume.

Mittel gegen die Migräne-Qual

Nur ein kleiner Teil der Menschen mit Migräne sucht einen Arzt oder Spezialisten auf. Wenn eine Migräne das erste Mal auftritt, ist ein Arztbesuch empfehlenswert. Für schwere Fälle gibt es spezielle Medikamente, sogenannte Triptane. Aber Achtung: Triptane sollte man an nicht mehr als zehn Tagen pro Monat und maximal an drei Tagen in Folge einnehmen, da sonst ein medikamenten-induzierter Kopfschmerz droht. Ebenfalls helfen können Pfefferminzöl, spagyrische Arzneimittel, Schüssler Salze oder Ingwer (1 cm geschälte Wurzel fein reiben und mit Fruchtsaft trinken).

Vielen Patienten, deren Beschwerden nicht ganz so schlimm sind, helfen frei verkäufliche Schmerzmittel. Auch die sollten in der «Selbstbehandlung» massvoll eingesetzt werden. Die Angst vor dem nächsten Anfall ist bei den meisten Betroffenen sehr gross. Vorbeugende Massnahmen und Therapien sind daher – neben der Vermeidung bekannter Trigger – empfehlenswert. Infrage kommen beispielsweise Traditionelle Chinesische Medizin, Osteopathie, Cranio-Sakral-Therapie, Progressive Muskelrelaxation, Schmerzbewältigungstraining, Neuraltherapie oder Biofeedback-Therapie. Lohnen kann sich auch die Umstellung auf Vollwertkost. Starke Blutzuckerschwankungen, wie sie nach dem Konsum von Süssigkeiten oder zuckerhaltigen Getränken auftreten, können ebenso Migräne auslösen. Vollkornprodukte dagegen lassen den Blutzucker langsamer und gleichmässiger ansteigen und abfallen.

Die Migräne-Phasen

1. Vorboten

Viele Patientinnen und Patienten verspüren bereits einen Tag vor der eigentlichen Migräne-Attacke Vorzeichen. Das kann eine Hochstimmung sein oder das Gefühl, besonders leistungsfähig zu sein. Ebenso können Gereiztheit, depressive Verstimmung, Lust auf Süsses, vermehrter Hunger, ungewöhnlicher Durst, Verstopfung oder Schläfrigkeit Vorboten sein.

2. Aura

Bei etwa 10 bis 15 Prozent der Betroffenen tritt unmittelbar vor dem Einsetzen der Kopfschmerzen eine Aura auf. Eine Migräne-Aura ist eine neurologische Störung, die häufig in Form von Sehstörungen auftritt. Einige sehen Lichtblitze oder flimmernde Zickzacklinien, die sich von der Mitte des Sehfelds über das gesamte Gesichtsfeld ausbreiten. Bei anderen treten Flecken auf, die sich langsam ausbreiten. Weitere Aura-Symptome sind Schwäche, Taubheit oder ein Kribbeln (in Gesicht, Händen, Beinen), Sprachstörungen, Schwindel, Gang-unsicherheit und Doppelbilder.

3. Schmerzen

Als Nächstes setzen mittlere bis (sehr) starke, pulsierende und/oder pochende Kopfschmerzen ein. Meist auf einer Seite beginnend, breiten sie sich auf Stirn, Schläfe und Augenbereich aus, später möglicherweise auf die andere Kopfseite. Die Schmerzen werden oft begleitet von Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Geruchssensibilität. Bewegung und Stress verschlimmern die Migräne.

4. Rückbildung

Gegen Ende der Migräne-Attacke wandelt sich der pulsierende, pochende Schmerz in einen gleichbleibenden Schmerz. Meist schlafen die Betroffenen danach erschöpft ein.

Alessandro Capponi
Ein Migräne-Tagebuch schafft Übersicht über die Anfälle.

Alessandro Capponi

Apotheker und Betriebsleiter einer Drogerie Apotheke in Basel

Wie kann man Migräne vorbeugen?

An erster Stelle empfehlen sich nicht medikamentöse Verfahren wie Entspannungstraining, Biofeedback-Therapie, kognitive Verhaltenstherapien oder Stressmanagement sowie regelmässiger Ausdauersport. Genügt das nicht, sollte man eine medikamentöse Therapie ins Auge fassen.

Was gilt es bei einer akuten Attacke zu tun?

Rückzug in einen abgedunkelten Raum und Ruhe sind sinnvoll, gegebenenfalls auch Kühlen mit Eiskompressen. Bei leichteren und mittelstarken Migräne-Attacken eignen sich rezeptfreie Schmerzmittel mit Acetylsalicylsäure und Ibuprofen. Für Patienten mit starker Migräne, denen diese Schmerzmittel nicht helfen, gibt es spezifische Migräne-Medikamente (Triptane). Begleitsymptome wie Übelkeit und Erbrechen lassen sich mit Antiemetika bekämpfen.

Warum ist ein Migräne-Tagebuch sinnvoll?

Es schafft Übersicht über die Migräne-Anfälle. So kann anhand von Attackenfrequenz, Anfallsdauer, Anzahl der Kopfschmerztage, Schmerzintensität sowie der eingenommenen Medikamente Erfolg oder auch Misserfolg der angewandten Therapie ermittelt und entsprechend gehandelt werden. Sind die Migräne-Auslöser erst einmal gefunden, ist es einfacher, darauf zu reagieren. Um eine aussagekräftige Darstellung der Situation zu erhalten, sollte man das Migräne-Tagebuch über längere Zeit führen.